Landessegelverbände des DSV

Jan Strickmann ist neuer Inklusionsbeauftragter des Segelverbands Baden-Württemberg

In Rahmen der diesjährigen Messe INTERBOOT wurde Jan Strickmann zum neuen Beauftragten für Inklusion beim Segelverband Baden-Württemberg ernannt. Mit einem Interviews stellen wir ihn hier unseren Mitgliedsvereinen vor. Jan Strickmann ist unter inklusion@segelverband-bw.de zu erreichen.


 Was gibt es über Sie persönlich zu wissen?

Ich bin 47 Jahre alt und lebe mit meiner Familie in der Nähe von Stuttgart. Geboren wurde ich im Münsterland am Ufer der Ems – somit ist mir der Wassersport in die Wiege gelegt worden. Zunächst als Kanute, dann habe ich auf dem Aasee in Münster den Optischein erworben. Auf dem Dümmer See in Niedersachen habe ich richtig segeln gelernt. Ich persönlich bin Fahrtensegler, für Regatten sind meine Frau und unsere Jungs zuständig. Wichtig ist: Segeln ist unser Familiensport!

Welche Bedeutung hat Inklusion für Sie persönlich im Segelsport und darüber hinaus?

Wir sind als Familie selbst von Behinderung betroffen – unser Sohn Theo hat eine geistige Behinderung. Angesichts der vielfältigen Herausforderungen, die eine solche Diagnose mit sich bringt, können wir beim Segeln immer wieder gemeinsam eine Auszeit genießen. Dieses „Einfach-Dabei-Sein“ möchte ich anderen Menschen zugänglich machen.

Für uns war die Teilnahme an den Special Olympics*) die Initialzündung. Hier steht nicht die Behinderung im Fokus, sondern die individuelle Leistungsfähigkeit der Athleten. Behinderte und nichtbehinderte Menschen treiben gemeinsam Sport und entwickeln so ein Verständnis füreinander. Das trägt auch im Alltag oder in der Berufswelt. Inklusion ist ein Imperativ, ohne geht es nicht.

Welche Erfahrungen haben Sie als Inklusionsbeauftragter beim Stuttgarter Segel-Club gesammelt, die Sie in Ihre neue Rolle einbringen möchten?

Die Idee, inklusives Segeln am Max-Eyth-See auszuprobieren, fiel bei uns im Verein auf fruchtbaren Boden. Man hatte sich zwar schon mit der Frage beschäftigt, war aber noch nicht zu Umsetzung gekommen.

Wir haben dann nach dem Motto „Einfach mal machen, es könnte gut werden!“ einen ersten Segeltag gemeinsam mit Special Olympics Baden-Württemberg organisiert. Aus diesem Impuls ist dann die Initiative „Alle an Bord“ geworden.

Ein absoluter Schlüssel zum Erfolg ist die Kooperation der verschiedenen Segelvereine:
Inzwischen beteiligten sich neben dem STSC auch die Akademische Segelvereinigung und der studentische Segelverein, der Marineverein, die Porsche Seglergemeinschaft und die SG Stern bei „Alle an Bord“. So können wir aus einem breiten Pool an Helfern mit unterschiedlichsten Erfahrungen und Kompetenzen schöpfen und eine Vielfalt an Booten nutzen, ohne große Investitionen tätigen zu müssen.

Wie verlief die Organisation der ersten Inklusiven Segeltage Baden-Württembergs 2024 und was waren die größten Herausforderungen?

Nachdem wir zwei inklusive Segeltage in der Region Stuttgart durchgeführt und erfolgreich eine Schulkooperation ins Leben gerufen hatten, wurde auf der Interboot 2023 bei der Verleihung des Förderpreises „Segeln im Ländle“ beschlossen, im Jahr 2024 die ganze Bandbreite des inklusiven Segelns in Baden-Württemberg zu zeigen.

Auf der Messe ergaben sich viele neue Kontakte, so dass insgesamt ein Dutzend Vereine und Organisationen ein buntes Wochenende auf dem Wasser ausgerichtet haben. Vom Mini-12er über verschiedene Jollen bis zum Marinekutter waren verschiedenste Boote auf dem Wasser.
Ein Highlight war die S\V14, eine Jolle mit Sitzschalen z. B. für Rollstuhlfahrer. Hier wurde aber auch eine der großen Herausforderungen offensichtlich – noch sind die Steganlagen nicht barrierefrei erschlossen. Durch das große Engagement der freiwilligen Helferinnen und Helfer konnten jedoch diese Probleme gelöst werden.

Hilfreich war neben den eigenen Erfahrungen aus den Vorjahren auch der Input aus den anderen Vereinen. So hat z. B. der integrative Segelverein Bodensee e.V. mit seiner über 20jährigen Erfahrung uns gezeigt, wie schnell und sicher auch Menschen mit schweren Behinderungen Erfolge auf dem Wasser erleben können.

Parallel zu unserem Schnupperangebot veranstaltete Special Olympics Deutschland ein professionelles Training mit fortgeschrittenen Athleten bei uns am See – ein Siegerteam der World Games 2023 in Aktion zu erleben war ein starker Ansporn für unsere Newcomer!

Die Organisation einer Veranstaltung mit über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern war selbstverständlich nicht ohne: Das Technische Hilfswerk übernahm das Ein- und Auskranen der Boote, die DLRG die Absicherung zu Lande und auf dem Wasser. Das Programmheft wollte mit Leben gefüllt und gedruckt werden, versicherungstechnische Fragen waren zu klären. Neben der Unterstützung durch den Segelverband BW möchte ich hier besonders den Input der Turning-Point-Stiftung hervorheben. Sie hat durch die Durchführung ihrer „Wendekurse“ ein umfassendes Know How für das Segeln mit behinderten Menschen aufgebaut und dieses bereitwillig mit uns geteilt.

Zusammenfassend: Wie eine Regatta zu organisieren ist, wissen viele Segelvereine – eine Veranstaltung für Menschen mit Behinderung zu planen und durchzuführen, erfordert ein noch viel höheres Maß an Struktur und Planung, um den vielfältigen individuellen Herausforderungen zu begegnen. Dies ist uns gut gelungen, wir haben viel gelernt und wir haben eine Blaupause für weitere Veranstaltungen diese Art geliefert. In Zukunft werden wir diese ausbauen und anpassen – ich freue mich auf das nächste Mal!

Welche langfristigen Ziele verfolgen Sie als neuer Inklusionsbeauftragter des Segelverbands Baden-Württemberg?

Ich möchte den eingeschlagenen Weg fortführen. Das bedeutet, dass ich zunächst den Begriff der Inklusion im Segelsport schärfen möchte. Ich glaube, viele Vereine leben bereits „Inklusion“, ohne sich dessen bewusst zu sein. Diese Initiativen möchte ich vernetzen und daraus tragfähige Konzepte machen, die andere Vereine übernehmen und für sich adaptieren können.

Das große Ziel „Inklusion“ muss in kleine und konkrete Maßnahmen heruntergebrochen werden. Entscheidend sind hier auch Angebot und Nachfrage an den jeweiligen Standorten. Ein Inklusionsangebot richtet sich idealerweise an eine spezifische Gruppe. Gibt es z. B. eine Blindenschule, mit der sich eine Kooperation aufbauen lässt? Was benötigen Blinde, um erfolgreich ein Schiff zu steuern?
Vielleicht gib es bereits einen Rollisportverein, dessen Mitglieder aufs Wasser wollen?
Oder will man für eigene Vereinsmitglieder, die z. B. durch Krankheit oder Schlaganfall nicht mehr segeln können, ein Angebot entwickeln?

Mit diesen Konzepten und Ansätzen kann man dann auf Organisationen und Träger der Behindertenhilfe zugehen. Die Zugangshürden zum Segeln liegen einfach höher als in anderen Sportarten – daher halte ich Kooperationen für essenziell, um solche Angebote vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Es darf jedoch nicht nur bei solchen Kooperationsprojekten bleiben. Die Vereine werden sich öffnen und Menschen mit Behinderung in das tägliche Vereinsleben integrieren. Inklusionsarbeit ist Vereinsarbeit! Für mich liegt der Schlüssel hier im Breitensport und in Angeboten für die Familie – aus eigener Erfahrung weiß ich, dass kaum eine andere Sportart geeignet ist, Menschen mit Behinderung zu integrieren. An Bord lassen sich die Aufgaben auf individuelle Stärken anpassen – die Behinderung bleibt an Land.

Der dritte Punkt für mich ist, auch das wettbewerbsorientierte Segeln für Menschen mit Behinderung zu öffnen. Die 2.4er leben dies bereits seit Jahren vor und auch in der Segelbundesliga gibt es inklusive Formate. Dennoch glaube ich, dass hier noch Arbeit investiert werden muss. Wie schaffe ich ein faires und spannendes Wettbewerbsformat, in dem Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen und nichtbehinderte Menschen gemeinsam um Pokale segeln können?

Durch technische Umbauten an den Booten lassen sich körperliche Defizite ausgleichen. Vereinfachte Regeln helfen, Menschen mit kognitiven Einschränkungen am Wettbewerb zu beteiligten. Und technische Gadgets wie zusätzliche Licht- oder Schallsignale oder verbesserte Telemetrie an Bord ermöglicht es, sensorische Nachteile auszugleichen. Das ist ein spannendes Feld, in dem wir noch viele Erfahrungen sammeln müssen und welches weit über Yardstickzahlen hinausgeht. Da können wir sicher auch von anderen Sportarten lernen.

Welche Maßnahmen sind Ihrer Meinung nach notwendig, um den Segelsport in Baden-Württemberg inklusiver zu gestalten?

Die Ausarbeitung und Pflege der oben bereits genannten Konzepte entscheidet über den Erfolg der Inklusion. Wie immer ist auch das liebe Geld nicht zu vernachlässigen – Möglichkeiten zur nachhaltigen Finanzierung müssen stets mitgedacht werden.

Entscheidend ist jedoch das Mindset: Inklusion ist eine Facette, die bei allen Entscheidungen mitgedacht werden sollte. In der Ausbildung von TrainerInnen muss das Thema einen Platz finden. Bei Baumaßnahmen in den Vereinen muss Barrierefreiheit berücksichtigt werden. Behinderung kann jeden von uns treffen – dann ist es gut, wenn Vereine eine Antwort darauf haben. Diese muss nicht „die Welt retten“ – kleine, konkrete Maßnahmen – orientiert am individuellen Bedarf – bringen uns voran.

Wie binden Sie Menschen mit Beeinträchtigungen aktiv in die Planung und Durchführung von Veranstaltungen wie den inklusiven Segeltagen ein?

An erster Stelle! Menschen mit körperlichen Einschränkungen vertreten sich in der Regel selbst am besten. Hier kann ich nur ein Podium bieten, um Wünsche und Ideen auszutauschen und voneinander zu lernen. Bei Menschen mit geistigen Einschränkungen ist die Herausforderung etwas größer. Hier möchte ich mit meinem Engagement einen Schwerpunkt setzen.

Hier nutze ich die Zusammenarbeit mit Special Olympics und weiteren Organisationen, die bereits erprobte Verfahren zur Partizipation wie z. B. einen Athletenrat, Veröffentlichungen in leichter Sprache etc. haben.

Welche besonderen Projekte oder Veranstaltungen planen Sie in den kommenden Jahren, um die Inklusion im Segelverband Baden-Württemberg weiter zu stärken?

Ich freue mich sehr, dass die inklusiven Segeltage fortgesetzt werden und unter Federführung des Segel- und Motorbootclubs Friedrichshafen e. V. im kommenden Jahr am Bodensee stattfinden werden. Hier wünsche ich mir rege Beteiligung aus ganz BW und der Bodenseeregion. Mein Ziel ist, diese Veranstaltung fest im Kalender zu etablieren und sie auf alle Reviere in BW tragen.

Ferner möchte ich den bundesweiten Austausch unter den Vereinen fördern. Ich freue mich sehr, dass ich von Elke Paatz, der Inklusionsbeauftragten des DSV gebeten wurde, unsere Aktivitäten und Erfahrungen auf der Boot 2025 vorzustellen – ich bin überzeugt, dass wir mit „Alle ein Bord“ eine großartige und nachahmenswerte Initiative aufgebaut haben.

In meiner Rolle als Inklusionsbeauftragter des Stuttgarter Segelclubs möchte ich die Barrierefreiheit am Max-Eyth-See vorantreiben. Unser Segelrevier ist zwar klein und mag manchmal belächelt werden. Doch die zentrale Lage in der Region Stuttgart, die Überschaubarkeit und gute öffentliche Erreichbarkeit machen den Standort prädestiniert für inklusives Segeln.

Mein Herzensprojekt im Jahr 2025 ist die erstmalige Veranstaltung eines Anerkennungswettbewerbs im Segeln in BW bei den Landesspielen von Special Olympics. Vom 19. bis 21.7.2025 werden diese in Heilbronn und Neckarsulm stattfinden. Die Regatten werden wir gemeinsam mit dem Heilbronner Segelclub auf dem Breitenauer See ausrichten. Ich freue mich über interessierte HelferInnen, die eine solche Veranstaltung mitgestalten wollen.

Mein Traum ist, die Organisation einer großen inklusiven Regatta – der Bodensee als internationales Revier im Süden bietet sich ja dafür an…

*) Special Olympics ist die internationale Sportorganisation für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung